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der "Eilper Junge"... als wir noch Kinder waren

 

 

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Vor meiner Zeit

 

Vorwort

 

Bei einem Gespräch mit meinen Enkeln, erwähnte ich, dass ich in unserem Keller als Kind Briketts stapeln musste. „Was sind denn Briketts?“ fragte der Jüngste. Was uns Älteren heute als selbstverständlich erscheint ist für die jüngere Generation heute nicht mehr verständlich. Ein Einkochkessel ist ein Ding, welches die meisten Kinder nicht mehr kennen, woher auch? Heute heizt man bequem mit der Zentralheizung und erspart sich das Kohle stapeln. In einem Einkochkessel pflanzt man heute vielleicht noch Blumen, die Konserven holt man sich aber im Supermarkt. Unser damaliger Alltag als heranwachsende Kinder ist für heutige Kinder nicht mehr, oder nur schwer nachzuvollziehen.

 Diese Tatsache war ausschlaggebend für meinen kurzen Bericht aus dem Leben eines Eilper Jungen, der noch in der Kriegszeit des 2. Weltkrieges in Eilpe geboren wurde. Für all die jungen Leute die unsere Gedanken und unser Handeln manchmal nicht so recht verstehen. Aber auch für die Alten, welche diese Zeit miterleben durften und sich vielleicht mit Freude daran zurückerinnern, sind diese Zeilen gedacht.

 

Vor meiner Zeit

(Aufzeichnung nach einem Gespräch mit meiner Mutter)

 

Mein Großvater mütterlicherseits, lebte in Berlin und diente dort unter Kaiser Wilhelm bei der Langen-Garde. Meine Großmutter die sehr fromm war, arbeitete in einem christlichen Hospiz. Sie heirateten jung mit 22 Jahren und zogen von Berlin nach Dortmund. Hier bekamen sie ihr erstes Kind Johanna, sie verstarb aber noch als Kleinkind. Meine Mutter verwahrte bis ins hohe Alter die Rechnung vom Totenhemdchen und von dem Kränzchen, welches auf der Beerdigung gelegt wurde. Meine Großmutter hingegen, hat nie wieder über den Tod von Johanna gesprochen.

 Nach einer kurzen Zeit in Dortmund hat es sie dann nach Hagen – Eckesey verschlagen. Dort wohnten sie schräg gegenüber der Wirtschaft Schulte. Großmutter hat in dieser Zeit bei der Firma Backhaus in einer Großbäckerei gearbeitet.

 

 Meine Mutter konnte sich noch sehr gut erinnern wie ihr Vater, mit einem Pappkarton ausgestattet, in den Krieg 14 - 18 zog. Er galt bis 1919 als vermisst und wurde für tot erklärt. Seinen Sohn Hans hatte er nie gesehen. Meine Großmutter nahm eine Arbeitsstelle bei der Eisenbahn am Hagener Hauptbahnhof an. Die Kinder waren in dieser Zeit natürlich immer allein zuhause. Sie wurden von Ihrer Mutter immer wieder ermahnt keine fremden Personen ins Haus zu lassen. An einem Sonntagmorgen klopfte es an der Tür.“ Wer ist da?“ fragten sie. Eine fremde Stimme antwortete: „Macht mal die Tür auf, euer Papa ist hier!“, „ unser Papa ist nicht da, wir dürfen die Tür nicht aufmachen das hat unsere Mutter uns verboten“. „ Doch ihr dürft und müsst die Tür aufmachen“.  

 

Nach einigem hin und her kam meiner Mutter die Angelegenheit doch etwas komisch vor und sie ließ sich überreden die Tür aufzumachen. Als sie die Tür öffnete stand ein riesiger Mann mit einem Mantel aus einzelnen Kaninchenfellen, der bis zu dem Boden über die Schuhspitzen reichte, vor ihr. Auf dem Kopf eine hohe Mütze, so groß wie ein Kaffeewärmer, ebenfalls aus Kaninchenfellen angefertigt. Er fragte, wo denn die Mama sei. „Am Bahnhof arbeiten“ war die ängstliche Antwort. Der Mann verlangte, dass sie und ihr kleinerer Bruder schnell ihre Mäntel anziehen sollten und ungewaschen und ungekämmt zur Mutter laufen müssten. Großmutter war natürlich in großer Sorge, wer wohl in ihrem Hause jetzt sein Unwesen treiben würde. Dort hatten sich inzwischen viele Leute angesammelt, um den tot geglaubten Heimkehrer zu begrüßen. Es kam nicht oft vor, dass ein Kriegsgefangener aus Russland heimkehrte, wobei mit Russland Sibirien gemeint war. Natürlich war die Freude riesengroß, als sie ihren totgeglaubten Ehemann erkannte der endlich heimgekehrt war.

 

 Meine Großmutter bediente bei der Eisenbahn die Drehscheibe. Diese Arbeitsstelle hatte den großen Vorteil, dass sie immer wieder Portionen Kommissbrot oder andere Verpflegungspäckchen von vorbeifahrenden Landsern zugesteckt bekam, denn es gab oft wenig zu essen. Das Hauptnahrungsmittel an Gemüse waren zu jener Zeit Steckrüben, die in Scheiben geschnitten auf dem Ofen geröstet wurden. (Ich kann mich daran erinnern wie meine Mutter nach dem 2. Weltkrieg dieses Essen auch für uns zubereitete.) Aber nicht alle Familien kamen in diesen Genuss. In dem Haus meiner Großmutter lebte eine Familie mit 6 Kindern, welche immer glücklich über die Brotkrusten waren die sie von ihr bekamen. Meine Mutter erzählte mir, dass sie oft Kartoffeln aus dem eigenen Keller gestohlen habe um sie an die Nachbarfamilie weiterzugeben.

 

 Mein Großvater, den ich leider nie kennen gelernt habe, wuchs bei fremden Leuten auf. Deshalb hatte Weihnachten immer eine besondere Bedeutung für ihn. In der Weihnachtszeit wurden von ihm aus Klebepapier und Glanzpapier kunstvolle Ketten angefertigt. Kleine rote Äpfel, meine Mutter nannte sie amerikanische Äpfel, wurden schön blank poliert und an einem Band gehangen. Ansonsten kamen nur bunte Zuckereien in den Weihnachtsbaum, und natürlich der obligatorische Weihnachtsengel. Das Besondere aber war der selbst gebaute Christbaumständer: Groß und quadratisch mit einem kleinen Zaun umgeben. Hier grasten kleine Schafe und hier stand auch die Weihnachtskrippe. Doch das war nicht alles. Aus einem alten Uhrwerk hatte er die Mechanik ausgebaut und so kunstvoll in den Ständer eingebaut, dass sich der Weihnachtsbaum am Heiligen Abend drehte.

 

 Er muss wohl ein guter Handwerker gewesen sein. Meine Mutter erzählte wie sich Opa Johann gehörig einen auf die Nase gekippt hatte. Das Donnerwetter war entsprechend groß, weil er zu spät nach Hause kam. Aus Wut über diese Maßregelung durch seine Frau, nahm er den Wecker der gerade in seiner Reichweite stand öffnete das Fenster, und schmiss ihn mit den Worten „ Da Wecker geh aus der Adolfstraße hinaus." Einige wenige Minuten später besann er sich, und holte den Wecker von der Straße zurück und reparierte in stundenlang, mit Erfolg.

 

 Sein größtes Hobby allerdings war das Schießen. Mit seinem Bruder ging er regelmäßig zum Üben in den Hohenzollernsaal. Das genügte ihm aber lange nicht. Die eigene Wohnung musste als Schießstand dienen. Über den Betten hingen die Schießscheiben auf denen geprobt wurde. Das Gewehr durften die Kinder natürlich nicht anfassen, und so erfand er ein Versteck unter der Fensterbank, welches er herausziehen konnte und darin das Gewehr unter den Dachpfannen verstecken konnte. Natürlich nahm er auch an dem oftmals stattfindenden Preisschießen teil. Einmal gewann er einen Bierkrug. Der Krug fasste 2,5 l Bier, und war aus einem Birkenstamm gefertigt. Auf dem Deckel stand ein Jäger mit Flinte und Hund. Mit diesem Krug musste mein Mutter öfter Bier aus Altenhagen holen, und sie war immer stolz, wenn die Leute diesen Krug bewunderten.

 

 Nachts zwischen 2 und 3 Uhr ging Opa Johann dann seiner größten Leidenschaft nach, das Wildern in den Eilper Bergen. Den Schaft des Gewehres in den Gamaschen und den Lauf im Ärmel versteckt. So mancher Bock und mancher Hase viel seiner Leidenschaft zum Opfer. Das Tier das er nachts erlegte musste am Tage abgeholt werden. Er ging dann mit den Kindern ganz zufällig dahin wo er nachts das erlegte Tier versteckt hatte. Er hatte immer einen Stock bei sich, den er sich aus Eichenholz schnitzt hatte, diesen warf er dann ganz zufällig in die Richtung wo das Wild lag. Dann erzählte er den Kindern, die natürlich von der Wilderei nichts mitbekommen durften, er hätte zufällig bei diesem Wurf den armen Hasen getroffen. Irgendwann kam es wie es kommen musste, er wurde mit der Flinte erwischt. Die Herren Streppel und Elflein nahmen ihm die Flinte ab. Was zur Folge hatte dass Opa Johann sterbenskrank wurde. Erst nach vielen vielen Bettelversuchen soll er sie wieder zurückbekommen haben.

 

 Meine Mutter beschrieb ihren Vater als sehr streng aber gerecht. Kamen die Kinder nicht pünktlich nach Hause, machte sich Opa Johann persönlich auf den Weg und erzog die Kinder gleich auf der Straße mit seinem Koppel, welches er kurzerhand abschnallte. Beim nächsten Mal waren alle wieder pünktlich zuhause. 

 

 Die Jungen wurden in dieser Zeit dienstverpflichtet. Auch Hans, der Bruder meiner Mutter musste nach Ostpreußen zum Arbeitsdienst. Es war die Heimat seiner Mutter. Von dort machte er sich im Jahr der Olympiade 1936 zu Fuß nach Berlin auf, um die olympischen Spiele zu erleben. Mit dabei war ein Freund von ihm, Gustaf Höffinghoff. Es war ein Jahr mit einem eisigen Winter. Auf dem langen Wege sind Hans die Füße erfroren. Sie hatten noch auf dem Wege bei einem Bauern um Unterkunft gebettelt. Sie durften sich auch bei ihm aufwärmen. Weil es so eisig war hatte er seine Beine in den geheizten Backofen gestellt, aber zu spät. Die Füße waren schon erfroren. In den nächsten Tagen haben sie das erfrorene Fleisch abschneiden müssen, weil es anfing zu faulen. Weil er wegen des Arbeitsdienstes zu dieser Zeit nicht in Hagen gemeldet war, bekam er keinen Krankenschein. Großvater hatte kein Geld um alles zu bezahlen denn er war wie viele andere in dieser Zeit, erwerbslos. Der zuständige Beamte sagte zu ihm, er müsse solange für ihn aufkommen, solange er bei ihm im Hause wohnte. Darauf antwortete Großvater:“ Dann werde ich ihn wohl aus dem Hause schicken müssen.“ Worauf der Beamte antwortete: "Sie sind aber ein richtiger Rabenvater“. Großvater dem das Wohl seiner Kinder immer besonders am Herzen lag, regte sich so furchtbar auf, dass er wutentbrannt nach Hause lief und die Treppen hochstürmte. Sein Hausarzt der ihn zufällig auf der Treppe traf sagte ihm noch: “So läuft man keine Treppe herauf!“

Morgens fand meine Großmutter ihn tot im Bett. Gestorben im Jahre 1933 mit 47 Jahren.

 

 Hans der in gehäkelten Pantoffeln zur der Beerdigung ging, war gelernter Hufschmied, der seine Prüfungen mit Auszeichnungen bestanden hat. Seinen Beruf konnte er nicht mehr ausüben. Um Geld zu verdienen hatte er andere Arbeit angenommen. Auf dem Grundstück der Firma Funke & Huck stand ein riesiger Schornstein. Beim Abbruch dieses Schornsteines bekam er eine schwere Mittelohrentzündung. Das Ohr wurde noch aufgemeißelt, aber er verstarb an dieser Entzündung.

... als wir noch Kinder waren

Im Süden von Hagen im Stadtteil Eilpe, in einem Haus gegenüber der Firma Wippermann Werk Eilpe, wurde ich geboren. Auf meinem Geburtshaus stand zu der Zeit noch groß auf der Hauswand "Schuhbesohlungsanstalt". (Peter Geldmacher eröffnete Jahrzehnte später in diesem Haus die erste Imbisstube in Eilpe) es war, wie damals üblich, eine Hausgeburt. Während des Krieges wurden wir aber dann, wie viele andere Hagener Familien auch, evakuiert. Jede Mutter, die einen Säugling hatte, wurde wegen der ständigen Gefahrenlage durch Bomben, in Sicherheit gebracht. Uns schickte man nach Komotau in Tschechien. Solange es noch einigermaßen ruhig war, fanden dort hin und wieder Besuche statt. Als die ersten Bomben auf Hagen vielen, war auch mein Bruder zum Glück gerade zu Besuch in Komotau.

 Wir kamen bei Oma Köbel unter. Oma Köbel besaß einen großen Bauernhof. Ihre Söhne waren beim Militär und konnten deshalb den Hof nicht bewirtschaften. Auf dem Hof gab es, außer ein paar Hühner, kein Vieh mehr. Die Kühe waren schon lange abgeholt und verspeist worden. Einige Gänse konnten noch vor den vorbeiziehenden Soldaten verborgen werden. In der Nachbarschaft wurde ein Schwein im Schlafzimmer versteckt, um es vor den hungernden Truppen zu schützen. Deshalb war es immer ein großes Fest, wenn Oma Köbel eine Gans spendierte, die dann gebraten wurde. Meine Mutter schwärmte immer von dem Gänseschmalz. Fetten wurde es in Komotau genannt.

 Für die kleinen Kinder gab es ein Problem, es gab kein Gemüse. Grüne Bohnen waren in Komotau unbekannt, dafür gab es Blumenkohl. Kawalonie sagte die Einheimischen dazu. Die Dorflehrerin gab den Tipp, dass man von den Radieschen das Grüne wie Spinat zubereiten konnte.

 Die leeren Stallungen dienten den Flüchtlingen aus Schlesien als Unterkunft. Es war eine Völkerwanderung. Die Fuhrwerke fuhren in den großen Innenhof und die Menschen bezogen Quartier in den Stallungen, um auf der Flucht für die Nacht ein Dach über den Kopf zu haben. In dem Innenhof stand eine Gulaschkanone, mit der die Flüchtlinge verköstigt wurden und aus den noch vorhandenen Zuckerrüben wurde tagelang Rübenkraut gekocht. Leute von der SA sorgten für einen reibungslosen Ablauf.

 Mein erstes bewusstes Erlebnis aus meiner Kindheit ist, dass ein Ganter (Gänserich) mich in den Teich des Hofes jagte und mir meine Haartolle, die ich damals trug durcheinander brachte. Ich erinnere mich noch, dass ich lang im Wasser lag und zur Belustigung alle Anwesenden laut um Hilfe schrie. Auch erinnere mich, dass ich beim Eier suchen zu Ostern, ein Osterei auf einem Nikolaus Schlitten fand. Es gab leider in dieser Zeit keine Osterhasen, also musste der Nikolaus für den Osterhasen einspringen

 Nicht erinnern kann ich mich an die Geschichte, die meine Mutter zur großen Freude meines Bruders immer wieder erzählte. Weihnachten 1945, aus Mangel an geeigneten Materialien fertigte meine Mutter ein Puppenbett aus alten gestanzten Blechen an. Aus alten Lumpen wurden Kissen und Bettzeug hergestellt und zum Schluss, natürlich auch aus Lumpenresten, eine Puppe mit aufgesticktem Gesicht und selbstgemachten Haaren. Als ich am Weihnachtsabend die Puppe geschenkt bekam habe ich mich wohl so erschrocken, dass ich mich auf der Stelle herumdrehte und schreiend mit den Worten „die beißt – die beißt“ aus dem Zimmer lief. Ich habe angeblich nie mit dieser Puppe gespielt, aber meine Mutter und mein Bruder haben wohl einen Riesenspaß gehabt.

 Kurz bevor das russische Militär in Komotau einzog, machte sich meine Mutter mit mir auf die Flucht zurück nach Hagen. Sie nahm einer fremden Frau einen Leiterwagen mit den Worten: „Den benötige ich jetzt dringender als Sie“ einfach ab, drohte noch mit einem ausgezogenen Schuh, legte mich in den Leiterwagen und begann einen langen Fußmarsch von Komotau nach Hagen ca.800 km Fußweg.

 Einmal unterwegs auf einer Waldlichtung, irgendwo im Nirgendwo, trafen wir auf einen deutschen Offizier, er fragte meine Mutter, ob sie denn wohl für die Landser etwas kochen könnte. Natürlich bejahte sie das. Als das Feuer loderte kamen nach und nach mehr und mehr Soldaten aus ihren Verstecken aus dem angrenzenden Wald. Jeder der kam gab etwas für den großen Topf, der über dem Feuer hing. Nachdem alle mit einem warmen Mahl versorgt waren, kam der Offizier zu meiner Mutter und sagte; „Wenn dieses alles vorbei ist junge Frau, braucht Deutschland Frauen wie sie!“ Meine Mutter war sehr stolz auf diese Worte und erzählte mir später einmal, dass dieses das schönste und größte Kompliment war, welches ihr je gemacht wurde.

 Sie legte die Strecke mit mir zu Fuß bis nach Siegen zurück. Von dort fuhr noch ein Zug zum Hagener Hbf. Später hat sie mir erzählt, dass sie diese Strapazen nie im Leben noch einmal auf sich nehmen würde.

 

 

 Nach dem Krieg mussten die Familien, die keine Wohnung mehr besaßen, auch unsere war zerstört, von fremden Familien aufgenommen werden. Jeder der mehr als 3 Zimmer zur Verfügung hatte, war verpflichtet obdachlose Familien aufzunehmen. Wir kamen für einige Wochen bei einer sehr freundlichen Familie Moog in Haspe unter. Herr Moog sammelte als Wertanlage Briefmarken und gab mir nebenbei den guten Rat Bonbonmacher zu werden. Briefmarken habe ich später gesammelt, aber den Beruf des Bonbonmachers habe ich nie erlernt. Für eine kurze Zeit kamen wir später dann in einem Zimmer in der Birkenstrasse unter.

 

       

Meinen Vater hatte ich bis dahin noch nie gesehen, aber meine Mutter erzählte mir, dass er bald wieder aus englischer Gefangenschaft zurückkehren würde. (Er hatte sich gegen Adolf Hitler ausgesprochen und wurde deswegen in ein Strafbataillon nach England verlegt.) Eines Tages stand ich am Fenster und sah einen Mann mit einem Seesack auf dem Rücken die Straße heraufkommen. Ohne dass ich meinen Vater kannte und ihn nie gesehen hatte, rief ich meiner Mutter zu:" Papa kommt nach Hause" und tatsächlich war es mein Vater, der aus der Gefangenschaft entlassen wurde. Später erzählte er mir, dass er in der Gefangenschaft nur noch 36 kg wog und unter der englischen Krankheit (Knochenerweichung) litt. Aus Verzweiflung und Hunger haben sie Salat aus klein gehackten Regenwürmern gegessen. Jahre später sollte meinem Vater das Bundesverdienstkreuz übergebenen werden, aber er lehnte es mit den Worten ab: „Von dem Staat, der so mit Menschen umgegangen ist, nehme ich nichts an.“ Die Ehrung war mit 3000 DM dotiert. Wir hätten das Geld gut gebrauchen können.

 1946 kamen wir wieder nach Eilpe zurück und zogen in die Eilperstrasse 57.  Meine Großmutter lebte zu der Zeit noch in Oberbrügge. Von ihr bekam ich meinen ersten richtigen Ball geschenkt. Es war ein fort geworfener Gummiball, der aus 2 Teilen bestand. Meine Großmutter hatte ihn wieder kunstvoll zusammengenäht. Wir waren glücklich damit. Zuvor spielten wir mit einem Ball, der aus fest gerollten und rund geformten alten Lappen bestand. Was für ein Fortschritt!

 Meine Großmutter erzählte mir damals, dass es aus dünnem Gummi Luftballons gab die aufgeblasen an einer Schnur durch die Luft flogen. Ich besorgte mir eine Einkaufstüte (dreieckig) in denen man noch Erbsen, Linsen, Zucker, Mehl usw. lose kaufen konnte. Es wurde erzählt, dass die Häftlinge in den Gefängnissen zur Strafe die Tüten kleben mussten. Ich blies die Tüte auf und verschloss sie mit einem Faden und lief los. Leider hat sich mein selbst gebastelter Luftballon nicht von der Straße abgehoben. Dafür konnte ich später, aber perfekte Windvögel bauen und wurde von Erwachsenen oft gefragt wie man denn solch schöne Drachen baut.

 In unserem Haus an der Eilper Strasse befand sich das Kaiser's Kaffee Geschäft und der Obst-und Gemüseladen von Hermann Hoffmann. Nebenan im heutigen Grammephon, betrieb die Firma Michael Brücken einen Kaufladen und noch ein Haus weiter, in der alten Schnapsbrennerei Post begann MEHA mit der Brühwürfel Produktion. Die Häuser links in Richtung Innenstadt waren noch einigermaßen gut erhalten. Auf der rechten Seite hatten die Bomben ganze Arbeit geleistet. Ich erinnere mich noch an einen defekten Panzer, der vor meinem Geburtshaus stand. In der Ruine Ecke Eilper- Hasselstrasse (17) eröffnete der Metzger Schmidt seinen Laden wieder. Herr Schmidt verkaufte am Muttertag immer seinen schönen lila Flieder für 25 Pfennig pro Ast. Auch Dr. Saure eröffnete seine Praxis wieder in einem zerstörten Haus an der Stelle (13) wo heute der Kaufpark steht. 1951 erbaute er in der Kurfürstenstrasse eine neue Praxis.​

 Neben den Eingangsbereich von Post & Söhne standen 2 weitere Häuser. In dem ersten Haus hatte der Schuster Volkenborn eine Werkstatt in seiner Wohnung eingerichtet. Zu ihm brachten wir unsere abgelaufenen Schuhe, die er immer gut besohlte. Leider wurden die Schuhe, wegen des hohen Andranges nie rechtzeitig zum versprochenen Termin fertig. Und das brachte Probleme mit sich. In unserer Familie besaßen jeder nur 1 oder 2 Paar Schuhe. Manchmal brachte Herr Volkenborn die reparierten Schuhe noch spät abends bei seinen Kunden vorbei. Aber das Warten hat sich immer gelohnt, die Schuhe waren immer perfekt.

​ Gegenüber auf der anderen Straßenseite betrieb die Familie Gräbe einen Zigarrenladen bei denen wir unsere ersten Zigaretten kauften. Red-Rock, einzeln natürlich. Wir rauchten sie heimlich in den Büschen an der Hardt. Mein Opa kaufte bei Gräbes seinen Kautabak. Das war ein Tabak, den man im Mund kaute und anschließend ausgespukt. Gar nicht mal so appetitlich. In den Kneipen standen in den ersten Jahren noch die Spucknäpfe, in denen der Tabaksaft hinein gespukt wurde. Lecker! Das Kurzwarengeschäft Wolzenburg, die Metzgerei Knipp, die Bäckerei Hardt (Dickhut) und das Haus der Familie Saure in dessen Wirtschaft wir für unseren Vater noch Bier im Henkelmann oder in der Kanne an der "Klappe" kaufen konnten, waren einigermaßen erhalten geblieben. Die Arbeiter von der Gießerei Post & Söhne waren dankbar für die Gelegenheit, "an der Klappe" ein Bier kaufen zu können. Hier wurde in den Pausen manch halber Liter geschluckt.

 Mein Vater, der wie viele andere Männer auf Hamsterfahrt ging, brachte eines Tages ein Riesenschwarzbrot mit. Es war so groß und fest, dass es sich schlecht schneiden ließ. Frau Hardt aus der Bäckerei hat es dann für uns auf der Brotmaschine geschnitten. Frau Hardt war sehr beliebt in Eilpe. Manchmal schenkte sie uns Kindern einen Amerikaner oder einen Bienenstich. Der Bienenstich kostete damals 15 Pfennige für uns oft unerschwinglich

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 Auch der Milchladen Sprengel, der direkt am Eilper Denkmal stand war noch gut erhalten. Hier wurde die Milch noch unverpackt in offenen Milchkannen verkauft und die Eier gab es einzeln in der Tüte. In Kriegszeit gab es Lebensmittel nur mit Lebensmittelmarken. Im April 1942 wurden die Brotration für Normalverbraucher von 9,6 kg auf 6,4 kg, die Fleischzuteilung von 1600 g auf 1200 g und die Fettration von 1053 g auf 825 g im Monat gekürzt. Die Marken waren nicht übertragbar und ein wichtiger Bestandteil, um genug zu essen zu haben.

  Willi Sprengel stürzte eines Tages die Treppe herunter und verstarb an den Folgen dieses Unfalls. Die Häuser hinter Sprengel (36), direkt gegenüber von der Gaststätte "Gottfried von Eilpe" waren stark beschädigt. Die Obergeschosse waren völlig zerstört. In den Ruinen haben aber die Drogerie Albers, der Buchverleih Heinrich Dietzel und der Polstermeister Fritz Grömmer ihre Geschäfte weitergeführt. Bei Dietzel haben wir unsere ersten Mickymaus Hefte gekauft. Die Erwachsenen konnten sich dort für 30 Pfennig ein Buch ausleihen. Bei Herrn Grömmer ließ man sich, wenn man etwas Geld angespart hatte, die alten zerschlissenen Polstermöbel wieder aufarbeiten.

 Auf dem Bleichplatz eröffnete "der alte Browa", nach dem der Feuerwehrturm und die dahinterstehende Blindenwerkstatt abgebrochen wurde, seine Verkaufsbude. Eine kleine Holzbude nicht größer als ein Kassenhäuschen. Hier gab es Süßigkeiten und immer die neuesten Akim und Sigurd Heftchen für 20 Pfennige. Hätten wir sie bloß verwahrt. Heute hätten sie einen hohen Wiederverkaufswert. 

 Wo heute Kodi (neben Rewe) eine Niederlassung betreibt, hatte Herr Hüberna eine kleine Autoreparaturwerkstatt mit einem Gesellen aufgemacht. Auf dem gleichen Grundstück angrenzend an Post & Söhne, stellte Wilhelm Pardun seine Limonade her, die er für 25 Pfennig die Flasche verkaufte. Die Abfüllanlage stand in einer kleinen Halle direkt neben seinem Wohnhaus. Ursprünglich war es ein Pferdestall, in dem auch der Dachdecker Heinrich Hilker sein Lager hatte. Später wurde die Limonade dann in der Hardt, auf dem Gelände von Karl Anke abgefüllt. Die leer gewordene Halle nutzte dann der Dachdecker Hilker wieder alleine.

 Herr Anke betrieb ein Tiefbauunternehmen. Sein Sohn Fritz war noch in der Kriegsgefangenschaft. Meine Mutter arbeitete, nach dem Krieg, einige Zeit bei Ankes im Haushalt. Herr Anke und ich haben uns immer gut verstanden und verbrachten viele Stunden miteinander. Nach dem Krieg waren die Lebensmittel noch rar. Ab und zu schenkte er mir ein Wildkaninchen, welches er geschossen hatte, das dann von meiner Mutter sonntags gebraten wurde. Er nahm mich schon frühzeitig mit zur Jagd. Mit 13 Jahren durfte ich schon mit seinem Gewehr Köder für die Fuchsfallen schießen. Einmal sollte ich aus seiner großen Hühnerschar, die Herr Anke an seinem Obstgarten hielt, für das Sonntagsessen ein Huhn schießen. Ich hatte es wirklich beim ersten Mal gut getroffen auch beim zweiten Mal. Wenn beim Hühnerschlachten der Kopf abgetrennt wird, kann das Huhn ohne Kopf noch weiterfliegen. Mein Huhn flog auch noch weiter und ich stand erschrocken und hilflos dabei. Herr Anke stand lachend daneben und fing das Huhn ein. Zu der Zeit war mein größter Wunsch Förster und Jäger zu werden. Nach diesem Vorfall kamen mir allerdings einige Zweifel.

 Herr Ankes ganzer Stolz war ein Dackel, der auf den Namen Heidi hörte. Der Nachwuchs von Heidi war in der Jägerschaft sehr beliebt. Da er nicht alle Dackel behalten konnte wurden sie an andere Jäger verkauft. Aus dem letzten Wurf der Hündin behielt er 2 Welpen. Er gab ihnen die Namen Blücher und Pinkelmann. Als die Hündin an Krebs erkrankte bat er mich sie zu erschießen, aber dass konnte ich nicht. Herr Anke erlöste ihn dann selber und ich sah das erste Mal in meinem Leben einen erwachsenen Menschen bitter weinen.

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 In Hagen fielen immer noch Bomben. Ich erinnere mich wie die Frauen mit uns Kindern dicht gedrängt in einem Keller saßen. Die Sirenen heulten laut und die Erwachsenen weinten. Wenn Bomben fielen, bebte der Boden und mit lautem Getöse wurde Staub in den Keller geblasen. Es war der Tag, an dem der Großangriff auf Hagen erfolgte und Hagen zerbombt wurde. Der Bunker an der Althagener Brücke wurde getroffen. Eine Minenbombe (Blockbuster) durchschlug die 1 m dicke Betonwand und explodierte im Bunker. Es gab zirka 400 Tote und viele Verletzte. Mein Bruder kam an diesem Tag zu Fuß von einem Besuch bei unserer Großmutter in Oberbrügge zurück. Der Luftschutzbunker in der Tuchmacherstraße war schon geschlossen und man ließ meinen Bruder nicht mehr hinein. Er hat den ganzen Angriff liegend vor der Tür des Bunkers überlebt.   

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Foto Otto Ferholz

 Eingeschult wurden wir in der roten Schule (5) von Fräulein Just. Fräulein Just musste kurz nach unserer Einschulung die Schule verlassen, weil sie mit Herrn Piepenstock, welcher an der gleichen Schule unterrichtete verlobt war. So war das damals. Herr Piepenstock wurde später unser Klassenlehrer ein Glücksfall für uns. Kein anderer Lehrer hat uns so gut wie er, auf den Ernst des Lebens vorbereitet! Herr Piepenstock war in der Buntebachstrasse von einem LKW überrollt worden und hatte seit dem eine Verletzung am Bein. In Afrika war er von einem Panzer eingedreht worden. Er hatte sich auf dem Schlachtfeld schwer verletzt Tod gestellt. Zur Sicherheit drehten die feindlichen Panzer über die gefallenen Soldaten damit niemand überleben konnte. Er hatte aber überlebt. Oft hat er uns dieses Erlebnis erzählt und wie er sich nachts durch die feindlichen Stellungen zu seiner Kompanie zurück, durchgeschlagen hat. Wenn wir mal wieder gar keine Lust zum Lernen hatten, haben wir ihn gebeten uns die Geschichte noch einmal zu erzählen, wir hätten noch so viele Fragen.

Foto Eilper Junge

als wir noch Kinder waren
Eilperstr. 57

 Lehrer Schmidt besaß noch einen Rohrstock. Diese Tatsache zwang uns zu erhöhter Aufmerksamkeit im Unterricht, obwohl ich mich nicht erinnern kann, dass er den Stock in unserer Klasse jemals benutzt hat. Man erzählte aber, dass aus den anderen Klassen der eine oder andere Junge mit einem roten Striemen am Hintern nachhause kam. Wir hatten schnell gelernt und die eine oder andere Backpfeife hat uns daran erinnert dass wir das Gelernte auch nicht so schnell vergessen würden. 

 Auch wenn die heutigen Pädagogen es nicht gerne hören. Wir hatten keine beschmierten Wände in unserer Schule, es wurde nicht gestohlen, wir haben uns gestritten und manchmal auch geschlagen, aber wir haben uns ohne das Eingreifen der Lehrer wieder vertragen. Wir haben die Erwachsenen gegrüßt und sind in der Straßenbahn für ältere Leute aufgestanden. Wir haben mit dem Fußball schon mal eine Fensterscheibe eingeschossen, aber immer die Werte der anderen geachtet. Wir waren einfach Kinder und wurden nicht als Prinz geboren! Unter Lehrer Schmidt wurde die "rote Schule" zum ersten Mal Stadtmeister im Fußball!  Wir siegten 3:1 und ich konnte ein Tor schießen!

 

 Mein Schulweg führte mich von der Eilper Straße über den Bleichplatz durch die Schmiede Straße. Hier konnte ich noch on der Straße aus , dem Schmied bei der Arbeit zusehen. Es war immer ein Erlebnis zu sehen, wie beim Schmieden die Funken sprühten, wenn der Schmied auf das glühende Eisen schlug. Auf dem Rückweg durch die Wörthstraße ließen wir manchmal auf dem Bach, welcher zu der Zeit noch offen durch eine Rinne durch die Straße floss, selbstgebastelte Schiffchen schwimmen. Wir schnitzten sie kunstvoll aus Baumrinde oder falteten sie aus Papier. Manchmal genügte aber auch ein einfaches Stück Holz, welches wir von der Straße aufhoben und in den Bach warfen, um dann fröhlich nebenher zu laufen um zu sehen welches Stöckchen (Schiff) zum Schluss als erstes das Ziel erreichte.

 Wie es sich für einen Eilper Jungen damals gehörte, bin ich in den Eilper Sportverein TSV Fichte Hagen eingetreten. Mein Freund Klaus hatte mir erzählt, dass der Boden in der Turnhalle (Franzstrasse) mit Matten gepolstert wäre und man sich bei den Turnübungen, wie auf einer Couch, nicht verletzen konnte! Bis zur Fertigstellung der Halle wurde in der Gaststätte "zum Klingenschmied", bei alten Eilpern besser bekannt unter dem Namen - Vatikan-, geturnt. Zu dieser Zeit fanden in Eilpe noch regelmäßig große Turnwettkämpfe statt. Die Eilper Turnerschaft war über die Grenzen hinaus bekannt. So begann ich, wie die meisten jungen Sportler, ob Junge oder Mädchen beim Kinderturnen mit dem Sport. Später wechselte man dann zum Fußball, Handball, Leichtathletik oder zum Tischtennis. 

 Gespielt haben wir als Kinder einfach auf den Straßen oder in der Hardt. In der Volme, an der Schlacht, haben wir das Schwimmen erlernt und im Eiskeller, dort war die tiefste Stelle in der Volme, sprangen wir von der Eisenbahnbrücke ins Wasser. Einige von uns trugen damals selbstgestrickte Badehosen, und wurden deswegen von den anderen Kindern ausgelacht. Kinder können grausam sein. Nicht alle Familien hatten das Geld für Badebekleidung. Im Winter liefen wir über die zugefrorene Volme. Vor Wippermann hatten wir oftmals Spiegeleis auf der Volme. Hier brach Erwin eines Tages in das Eis ein. Er schrie lauthals um Hilfe:  “Hilfe, mein Schuhe ziehen mich runter Hilfe“ Wir standen am Ufer und hielten uns den Bauch vor Lachen, an der Einbruchstelle war das Wasser gerade mal 15 cm tief. Wo heute die Otto Densch Rundturnhalle steht, war früher der Teich des Puddelhammers. Ein Hammerwerk welches nach dem Krieg nicht mehr in Betrieb war. Der Teich war abgesperrt, was die Kinder aber nicht davon abhielt im Winter hier mit Schlittschuhen, "Marke Gloria," oder auch ohne über den Teich zu laufen. In meiner Jugend fror der Teich noch regelmäßig im Winter zu. Etwas weiter die Selbecke hoch, wo heute Netto eine Niederlassung hat, war der etwas kleinere Motte-Teich. Auch hier vergnügte sich Jung und Alt im Winter auf dem Eis.

 

 Auf Hansis Garagenplatz, ca. 4x8m spielten wir Fußball und erlebten wie Deutschland 1954 Fußballweltmeister wurde. In der Gaststätte von Hansis Vater stand ein Fernsehapparat. Eine Seltenheit zu der Zeit. Die Gaststätte war rappel voll. Wir konnten durch das geöffnete Fenster das gesamte Spiel verfolgen. Sieg!! Deutschland war wieder etwas. Hansi hatte den Sieg der deutschen Nationalmannschaft voraus gesagt. Ich hatte dagegen gewettet. Die Wette ging um 5 Pfennig! 50 Jahre später wollte ich die Wettschulden bezahlen, aber Hansi hat sie mir großzügig erlassen. Nach dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft war Fußball groß angesagt. 

 Später führte uns Hansi in der Hasselstrasse zur Olympiade. Der Wettkampf bestand aus Weitsprung, Laufen und Ziegelsteinstoßen. Hier war auch dann mitten auf der Straße unser Fußballstadion. Ab und zu kam ein LKW vorbei und wir mussten unser Spiel unterbrechen. Wenn wir Lust hatten, liefen wir den LKWs hinterher, um uns dann hinten an die Bracken anzuhängen und ein Stück mitzufahren. Die LKWs fuhren zu den Kalkwerken. Hier wurde nach dem Krieg allerdings kein Kalk mehr hergestellt. Die Ruinen des Kalkofens und der lange Schornstein standen noch. Nach dem Krieg wurde hier wurden der Schotter verladen welcher im Steinbruch (dort wo heute die Stadthalle steht) gebrochen und zerkleinert wurde. Eine kleine Schienenbahn (mit Lörken) brachte das Material durch einen Tunnel aus dem Steinbruch heraus zur Verladestelle. Aber auch Güterzüge holten dort den Schotter ab. Bei nassem Wetter drehten die Räder der Dampflok durch und sie hatte Mühe über den kleinen Anstieg wieder auf die Hauptstrecke zu kommen. Für uns Kinder war das immer ein schönes Erlebnis, denn wir konnten die riesige Dampflok aus der Nähe sehen. Wenn heute manchmal die historische Dampflok durch das Volmetal fährt und ihr lautes Pfeifen ertönen lässt, kommen wieder die Erinnerungen zurück. Ich sehe uns als Kinder, wie wir auf der Brücke stehen und uns  von dem den Dampf und Rauch haben einhüllen lassen und den Geruch der Lok tief einatmeten.

 Jahre später wurde dann an der Verladestelle Straßenasphalt hergestellt. Die kleinen Steine wurden mit Teer vermischt, fertig. Die komplette Anlage brannte dann eines Tages ab. Die Bauten ganz aus Holz dazu der Teer, ein riesiges Feuer. Die Hitze war so groß, dass wir den Brand nur aus großer Entfernung ansehen konnten. Für die Feuerwehr gab es nichts mehr zu retten. 

 

 Auf dem, mit der Zeit entstandenen und zu gewucherten riesigen Steinhaufen (in unserer Sprache hieß er nur >der Steinshaufen<, heute steht dort das Tierheim) spielten wir Cowboy und Indianer. Nach der Schule kämpfte hier Winnetou und Falkenauge (ich wegen meines blauen und braunen Auges) für Gerechtigkeit. Wir bauten uns Flitzebögen und Fletschen aus Fahrrad- oder Einmachgummi, fertigten kunstvolle Pfeile an und schossen damit auf selbstgebastelte Zielscheiben. Bögen aus den Speichen von Regenschirmen waren besonders beliebt. Ein gerader Stock durch einen Bierdeckel gezogen und fertig war der Degen mit dem d’Artgnan, Athos, Portthos und Aramis auf Abenteuer Suche gingen. Ab und zu konnte man hören wie Tarzan aus der Hardt seinen grausigen Schrei ertönen ließ und Zorro mit seiner Peitsche (eine alte Wäscheleine) knallte. Welch glückliche Kindertage!

 Vom Steinshaufen führten zwei Brücken über die Straße und den damals noch vorhandenen Eisenbahnschienen der Bundesbahn, hinüber zur Hardt. Es gab kein festes Geländer an der Brücke. Es war während des Krieges zerstört worden, aber wir gingen trotz Verbot über diese Brücken um die Wege abzukürzen. Ein Weg führte hinauf zu den "Schlacken". Die "Schlacken" bestanden aus der Schlacke der Hüttenwerke welche beim Eisen kochen entstand und oberhalb des Steinbruches entsorgt wurde. Es waren riesige bizarre Berge von Anhäufungen. Sie sahen aus wie die Externsteine in klein. Einige bekamen Namen von uns. Es gab den Kaiserstuhl, den Thron, die Burg und kleine Höhlen. Die älteren Jungens mussten manchmal gegen die Emster kämpfen. Dabei ging es nicht zimperlich zu. Man beschoss sich mit Fletschen und Flitzebogen und manchmal wurden auch größere Steine den Berg hinab gerollt. Verletzt oder geschlagen wurde aber glücklicher Weise nie jemand.

 Im Sommer wenn es heiß wurde gingen wir zu Fuß zu dem inzwischen gebauten Ischeland Strandbad oder auch zum Freibad Hengstey. Im Winter gingen wir zu Fuß zum Hallenbad nach Haspe, oder fuhren auf Dickhuts Wiesen Schlitten. Mit meinen ersten Ski habe, ich am Heiligen Abend mitten auf der Eilper Straße die ersten Runden gedreht. Der Straßenverkehr hielt sich damals noch in Grenzen. In den nächsten Tagen fuhren wir dann mit den Ski die Rehwiese herunter. Für die Abfahrt benötigten wir ca. 20 Sekunden, für den Aufstieg mit den Ski auf dem Buckel fast 10 Minuten. In der Hardt rauchten wir unsere ersten Zigaretten (Red Rock) die man damals noch einzeln kaufen konnten und schnitzten uns aus dem Staudenknöterich unsere eigenen Pfeifen, in denen wir den Samen vom Rheinfarn oder auch Eichenlaubblätter rauchten. (Aus unserer Clique hat später niemand das Rauchen angefangen) Wir waren selten krank hatten nie Allergien.

 

 Unsere Wohnung lag im 4. Stock 78 Stufen hoch. Auch als Kind hat man keine Lust diese vielen Stufen mehrmals täglich hinauf zu laufen. Wenn ich Hunger hatte stellte ich mich auf die Straße und schrie nach oben:“Mama!! Ich möchte ein Butta! (Butterbrot)“ und kurz darauf segelte das Bütterchen hinab auf die Straße. Bei dem heutigen Verkehr würde man mein Rufen vor lauter Lärm erst gar nicht hören. Und das Butterbrot würde wahrscheinlich keine 10 Sekunden auf der Straße überleben. Einmal benötigte ich, weil es schon kalt war, eine Jacke. Die Jacke kam wie gewünscht durch das Fenster geflogen und landete auf der Oberleitung der Hagener Straßenbahn. Natürlich kam noch in der gleichen Minute eine Bahn angefahren und nahm meine Jacke mit dem Strombügel mit. Meine Mutter ging noch bei der Hagener Straßenbahn vorbei und fragte nach der Jacke. Die Jacke wurde auch gefunden, war aber durch das Reiben zwischen Bügel und Oberleitung vollkommen durchlöchert.

 Natürlich blieb es mir nicht erspart, mehrmals am Tag die Treppe zu bewältigen. In der Zeit meiner Kindheit heizten die meisten Familien immer noch mit Kohlen. Meine Aufgabe bestand darin, im Winter die Briketts aus dem Keller zu holen und später die anfallende Asche wieder zu entsorgen. Manchmal legte ich in die noch glühende Asche im Kohlenkasten eine Kartoffel, die ich mir dann (ziemlich verkohlt) schmecken ließ. Die Briketts wurden vom Kohlenhändler einfach vor der Haustür abgekippt und wir mussten sie dann in den Keller befördern und ordentlich aufstapeln. 

Als ausgleichende Gerechtigkeit empfand ich die Tatsache, dass die Waschküche sich oben im Haus befand. So brauchten wir unsere Wäsche nicht, wie es in anderen Häusern üblich war, in die Waschküche im Keller transportieren. Gewaschen wurde von Hand auf einem Schrubbrett, oder in der Waschmaschine, welche aus einem Holzbottich mit einem Wassermotor bestand. Montiert war der Wassermotor oben auf dem Gerätedeckel, wenn der Wasserdruck mal nicht ausreichte, gab es zur Sicherheit noch eine Handkurbel. An der Seite war ein sogenannter Wringer angebracht. Durch das Drehen an einer Kurbel, wurden zwischen zwei Gummirollen die Wäsche durchgepresst und ein Großteil des Wassers entfernt. Mir hat das immer großen Spaß gemacht, wenn ich den Wringer drehen durfte. Meine Frau erzählte mir, dass sie, als Kind am liebsten, die kleinen weiße Mäuse durch den Wringer gedreht hat, weil die dann so schön breit wurden. Hallo! Die Mäuse aus weißem Zuckerschaum natürlich! Die Nachbarn sollen sich immer gefreut haben?

 Die Größeren von uns trugen im Herbst, wenn es kühler wurde Knickerbocker. Die Jungen, die solch eine Hose nicht besaßen, witzelten: (ist der Dünnpfiff noch so locker, es hält ihn doch der Knickerbocker!) Der Rest trug zum Spielen eine Art Trainingshose, die Hosen hatte oben am Bund und an den Beinen einfache Gummizüge. In diesen Hosen gingen sie dann zum Ernten. Ernten hieß nichts Anderes als Äpfel oder Birnen klauen. Bevorzugtes Areal war der Obstgarten der Firma Forster. Man erreichte ihn, wenn dem Eilper Bach unterhalb der Firma Post & Söhne folgte. Hier war es immer dunkel. Durch den Perdetümpel (Pferdetümpel) konnte man von hinten durch ein sehr schmales Loch im Zaun durchschlüpfen und gelangte so auf die Obstwiese.

 Der Chef der Firma Forster hatte seinen Arbeitern befohlen auf Obst Diebe zu achten und sie gegebenen Falls zur Rechenschaft zu ziehen. Eines Tages beobachteten die Arbeiter wie die Apfel Diebe fleißig Äpfel pflückten. Als die jungen Diebe (sie sahen aus, wie die Michelin-Männchen) die Arbeiter sahen flohen sie panisch durch das Loch im Zaun zurück in die Volme. Nur Armin blieb im Zaun hängen. Er hatte sich die Hose und Jacke so vollgestopft, dass er nicht mehr durch das kleine Schlupfloch flüchten konnte. Die Arbeiter erwischten ihn und er bekam eine gehörige Tracht Prügel. Mein Bruder, der natürlich überall dabei war blieb an gleicher Stelle Tage später, mit seiner Hose am Zaun hängen. Die Folge war ein Riesenwinkelhaken in der Hose und eine Woche Stubenarrest. Da wir nur eine Zweizimmerwohnung auf der Eilper Straße bewohnten, konnte er, weil es unserer Mutter zu eng in der Wohnung wurde, am nächsten Tag schon wieder neue Abenteuer aushecken.

 Unter der Firma "Post & Söhne", dort wo wer Bach in die Volme mündet, gingen wir manchmal hin zum Schrottsammeln. In den Betondecken der Gießerei befanden sich vereinzelte Löcher. Hier fiel immer mal wieder der Sand, welcher für die Gießformen benötigt wurde durch die Decke, aber auch kleine Gussteile, welche beim Gießen abfielen. In Eimern sammelten wir diesen Abfall ein. Sie wurden teils so schwer, dass einer alleine sie nicht tragen konnte. Beim Schrotthändler, zu dem wir das gesammelte Eisen brachten, gab es dann jedes Mal eine schöne Taschengeldaufbesserung. Mein Taschengeld betrug zu der Zeit 50 Pfennige die Woche.

​ In unserer schönen evangelischen Kirche, die auch wie die Katholische im Krieg stark gelitten hatte, wurde ich vom Pastor von Meyer mit Volme Wasser (wie wir Eilper sagen), getauft. Ich war zwölf Jahre alt. Meine Klassenkameraden waren alle schon als Kleinkind getauft worden. Also wollte auch ich getauft werden. Ich ging zum Pastor von Meyer und fragte ihn, ob er das wohl machen würde. Er war einverstanden und meine Eltern auch. Allerdings habe ich ihm diese Frage erst ein ¾ Jahr vor der anstehenden Konfirmation gestellt und hatte mir damit 1 1/4 Jahre Konfirmandenunterricht erspart.

 Zu meinen schönsten Jugenderinnerungen gehört das alte Kino "Deli". Das "Deli" stand in Delstern neben der Gaststätte "Kraufmann." Der Saal war mir Gartenstühlen ausgestattet, die in der Reihe miteinander verbunden waren. Im Winter wurde der Saal mit einem riesigen stählernen Ofen beheizt, der auf der rechten Seite des Saales stand. Im Dunkeln glühte er dunkelrot und beleuchtete einen Teil des Saales. In der Nähe des Ofens war es immer extrem heiß und die Augen wanderten während der Vorführung immer wieder zu dem mächtigen Monster hin. Die Zuschauer, die etwas entfernter saßen, froren allerdings erbärmlich. Zu der Zeit kam es des Öfteren vor, dass ein Film während der Vorführung riss. Der Film musste dann aufwendig wieder zusammengeklebt werden, und das brauchte eben immer seine Zeit. Es gab dann jedes Mal ein großes Gejohle unter den Zuschauern und je länger das Zusammenkleben des Filmes dauerte, umso lauter wurde das Geschrei. Wenn dann noch der Güterzug direkt am Kino vorbeifuhr, bebte der ganze Saal und die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt. Der Eintritt betrug am Anfang 25 Pfennig später 30 Pf. Wenn ein Spielfilm ab 16 Jahren gezeigt wurde, bezahlten wir 50 Pfennig und kamen auch hinein. Wir sahen am liebsten die Filme von Tarzan und Fuzy und lachten über Dick und Doof und Charlie Chaplin. Als das Kino seine Pforten schloss brach für uns eine Welt zusammen. Es war das erste Mal, dass etwas geschah, was wir nicht verstehen konnten

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 Später eröffnete auf der Selbecker Straße dann ein neues Kino, das "Atrium". Dieses Kino wurde von der Familie Bartels betrieben. (Im Februar 2016 begannen hier die Abbrucharbeiten.) Herr Bartels hatte damals sehr gute Verbindungen zur deutschen Kino-Szene. Er holte bekannte Filmstars wie Heinz Rühmann oder Katarina Valente nach Eilpe. Was viele nicht wissen, er baute das erste Freiluftkino auf einer Wiese hinter dem "Atrium" auf. Es bestand aus einer riesigen Leinwand und Gartenstühlen. Wir Kinder schlichen, wenn es dunkel wurde durch die Gärten und schauten dann von der Rückseite zu. Leider hatte das Kino zu der Zeit nicht so einen großen Erfolg wie gewünscht.

 Ich weiß nicht, ob meine Enkel jemals diese Seiten lesen werden, mir selbst hat jedoch dieser Rückblick viel Freude bereitet. Wir hatten keine leichte Kindheit, aber ich habe nie etwas vermisst. Wir waren mit einem "Butterbrot" in der Tasche von morgens bis abends in unseren Strumpfhosen unterwegs. Unsere Ferientage mit unseren Freunden waren unendlich lang und abends lagen wir müde, aber glücklich in unseren Betten. Und wir haben überlebt!!

 

Immer wieder einmal finden wir Schlüssel, 
die wie durch Zauberhand, das Tor zu unseren 
Erinnerungen weit aufstoßen

​​Vielleicht ist es mir gelungen, den Älteren von ihnen ein kleines Tor der Erinnerungen zu öffnen und den Jüngeren einen kleinen Einblick in vergangenen Zeiten zu geben und vielleicht können die Jungen und die Alten dann etwas besser zu einander finden. Das wäre schön! 

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